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Effektive Doppelbesteuerung im Inland

Urteil 2C_35/2022 des Bundesgerichts vom 23. September 2022

In der Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft wird unter dem Titel der Grundsätze der Besteuerung (Art. 127 BV) festgehalten, dass die interkantonale Doppelbesteuerung untersagt ist, wobei der Bund die erforderlichen Massnahmen trifft. Weiter wird in der Verfassung unter der Überschrift der Grundsätze des rechtsstaatlichen Handelns (Art. 5 BV) ausgeführt, dass staatliche Organe und Private nach Treu und Glauben handeln sollen. Im Steuerverfahrensrecht wird zudem das Zivilgesetzbuch zitiert, welches ausführt, dass der offenbare Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz findet (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Die enge Auslegung dieses Grundsatzes wird im Bundesgerichtsurteil vom 23. September 2022 erneut zementiert.

Urteil unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes nach Treu und Glauben

Der erwähnte Entscheid befasste sich mit zwei von einem Ehepaar beherrschten Gesellschaften, welche untereinander Leistungen ausgetauscht haben. Eines der Unternehmen hat seinen statutarischen Sitz im Kanton Zürich und das andere im Kanton Appenzell Ausserrhoden.

Im Zuge einer Buchprüfung gelangte das Kantonale Steueramt Zürich zum Ergebnis, dass der statutarische Sitz der Gesellschaft im Kanton Appenzell Ausserrhoden lediglich ein Scheindomizil darstelle und sich der tatsächliche Sitz dieser Gesellschaft ebenfalls am Sitz der verbundenen Gesellschaft im Kanton Zürich befinde. Die Vermutung wurde von einem früheren Bundesgerichtsentscheid betreffend die gleiche Gesellschaft mit statutarischem Sitz im Kanton Appenzell Ausserrhoden für spätere Steuerperioden angestellt, wobei die Gesellschaft im Kanton Appenzell Ausserrhoden nur über ein Briefkastendomizil verfügt hatte.

Wenn der Steuerpflichtige dem erstveranlagenden Kanton, in Kenntnis eines konkurrierenden Anspruchs eines anderen Kantons, das Bestehen von Tatsachen aufzeigt, die auf die Besteuerungskompetenz des erstveranlagenden Kantons schliessen lassen, rechtfertigt es sich gemäss Bundesgerichtsentscheid bei Rechtsmissbrauch, dem Steuerpflichtigen die Berufung auf das Verbot der Doppelbesteuerung gegenüber dem erstveranlagenden Kanton zu versagen, wenn der eigentlich zuständige Kanton sein Besteuerungsrecht geltend macht. Diesem Umstand ist jedoch Rechnung zu tragen, dass der Ort der tatsächlichen Verwaltung (eigentlich zuständiger Kanton) nicht immer offensichtlich ist und somit an dieser Stelle nicht immer von Rechtsmissbrauch ausgegangen werden sollte. Weiter ist hier die Frage zentral, zu welchem Zeitpunkt die Kenntnis eines konkurrierenden Anspruches bestanden hat.

Die Frage der Kenntnisnahme über einen allfällig konkurrierenden Anspruch wurde ebenfalls mit dem über die Gesellschaft bereits gefällten Urteil aus dem Jahr 2019 beantwortet. Im älteren Urteil wurde ein treuwidriges Verhalten festgestellt, da die damalige Vertreterin gegenüber der Steuerverwaltung des Kantons Appenzell Ausserrhoden die falsche Aussage gemacht hatte, die Gesellschaft verfüge im Kanton Appenzell Ausserrhoden über Büropersonal und beschäftige Teilzeitmitarbeiter. Im aktuellen Entscheid wurde ausgeführt, dass der Anlass für diese Falschaussage nur darin bestanden haben konnte, dass der damaligen Steuervertreterin schon damals der konkurrierende Steueranspruch des Kantons Zürich bewusst war und sie sich erhofft hatte, mit der Falschaussage eine höhere steuerliche Belastung der Beschwerdeführerin im Kanton Zürich umgehen zu können; andernfalls hätte sie die tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend offenlegen können, dass die Beschwerdeführerin im Kanton Appenzell Ausserrhoden nämlich abgesehen von einem Briefkasten keinerlei Berührungspunkte aufwies.

Die Steuerverwaltung des Kantons Appenzell Ausserrhoden wies in der Stellungnahme ans Bundesgericht darauf hin, dass die bei der damaligen Vertreterin eingeholte Auskunft nicht nur im Hinblick auf die Vornahme zukünftiger Veranlagungen eingeholt worden sei, sondern damit auch die Veranlagungen der aktuellen Streitsache vorbereitet wurden. Somit wirke sich die Falschauskunft der damaligen Vertreterin auch schädlich auf das aktuelle Verfahren und die nachfolgenden Steuerperioden aus. Das Täuschungsmanöver der Vertreterin führt daher ebenfalls mit Bezug auf die Veranlagungen des Kantons Appenzell Ausserrhoden für die aktuell bestrittenen Steuerperioden zur Verwirkung des Rechts der Beschwerdeführerin, sich gegenüber dem Kanton Appenzell Ausserrhoden auf das Doppelbesteuerungsverbot zu berufen und sich die dort bezahlten Steuern infolge tatsächlicher Doppelbesteuerung zurückerstatten zu lassen.


Im Zusammenhang mit der Verwirkung des Rechts des Steuerpflichtigen, sich gegenüber dem erstveranlagenden Kanton auf eine Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots zu berufen, hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass es in erster Linie darum gehe, treuwidriges bzw. rechtsmissbräuchliches Verhalten zu sanktionieren und diesem keinen Rechtsschutz zu gewähren.

Fazit

Das aktuelle Verfahren hätte somit, bei Verhalten nach Treu und Glauben im ursprünglichen Veranlagungsverfahren, einen anderen Ausgang finden können. Der vorliegende Entscheid unterstreicht den im schweizerischen Gesetz verankerten Grundsatz des rechtsstaatlichen und rechtsgebührlichen Handelns, wobei diesem stärkeres Gewicht zukommt als dem Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung. Zudem zeigt das Bundesgericht hier auf, dass widersprüchliche, verschleiernde oder gar falsche Aussagen in Verfahren dieser Art in einer starken Verschlechterung der Situation in Form einer effektiven Doppelbesteuerung münden können, wovon unbedingt Kenntnis genommen werden sollte.


Dieser Blogbeitrag soll die Stossrichtung aufzeigen, in welche sich die Beurteilung des Bundesgerichts bewegt. Den Behörden gegenüber ist, wie bereits erwähnt, die wahrheitsgetreue Darlegung des Sachverhaltes zu empfehlen. Weiter ist der Vertreter auf vollständige, ausführliche und transparente Informationen des Kunden angewiesen. Nur dann kann der Vertreter die nötige Unterstützung bieten, um eine Doppelbesteuerung abzuwenden und so eine konfliktfreie Lösung zu erreichen. Da in der gängigen Praxis nicht immer erkennbar ist, wo die Grenzen des Irrtums und des Missbrauchs liegen, sollte jeder Fall individuell beurteilt werden. Gerne stehen wir Ihnen mit unserem Fachwissen zur Verfügung.